Stimmen der Nacht by Ziegler Thomas

Stimmen der Nacht by Ziegler Thomas

Autor:Ziegler, Thomas [Ziegler, Thomas]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2013-03-19T16:00:00+00:00


8

* * *

Er erwachte

früh,

kurz nach

Sonnenauf-

gang. Noch

war es kühl;

Licht sickerte durch die Baumketten am Horizont und schlich sich wie ein unerwünschter Gast in die düsteren Ruinen von Köln. Von allen Seiten drang Vogelgezwitscher, aber es war nicht der Gesang der Vögel, der ihn geweckt hatte, sondern der Donner in der Ferne. Er schrak hoch. Es war kein Unwetter, es war Waffenlärm: der Donner rasch aufeinander folgender Explosionen, die Peitschenschläge einzelner Schüsse, das Hammerwerk mehrerer Maschinengewehre. Die Spatzen, die vor dem Dom auf den bemoosten Steinbrocken hüpften, flatterten verschreckt davon. Am Himmel, unter den Wolkenbänken, stob ein riesiger Schwalbenschwarm auseinander, und aus den Wolken stürzten, riesigen Habichten gleich, eine Rotte Hubschrauber.

Ihre Bordwaffen bellten. Geschosse heulten durch die Luft und zogen glühende Striche über den Horizont. Die fernen Baumwipfel explodierten unter dem Einschlag der Geschosse, das grauverschorfte, solide Grün der überwucherten Ruinen ging in Flammen auf. Von einem Hügel, aus dem dichten, filzigen Dach des Waldes, stieg eine Rakete in den Himmel und zog einen Schweif aus hellem Rauch hinter sich her.

Die Kampfhubschrauber drehten ab.

Sie flohen in die orangerote Scheibe der Morgensonne hinein, über das breite Band des Stroms hinweg, aber die Rakete folgte ihnen und traf ihr Ziel. Ein grollender Donnerschlag, ein feuriger Fleck im Blau des Firmaments, Rauch und Flammenzungen, dann nur noch Rauch, der sich rasch verzog. Ein Trümmerregen ging auf den Wald nieder.

Die Werwölfe! durchfuhr es Gulf. Schlaftrunken sprang er auf. Die Werwölfe greifen die Truppen des Generals an! Ein Aufstand. Und die Stimmen … Hitler im Dom … Der Werwolf-Orden erhebt sich …!

»Wir müssen von hier verschwinden«, sagte eine Stimme hinter ihm, aber es war keine Stimme der Nacht, sondern die Stimme eines lebendigen Menschen. Er sprach Englisch, mit dem typischen Akzent der Ostküste, und packte ihn am Arm, zerrte ihn mit sich ins dichte Unterholz. »Kommen Sie, Gulf, schnell! Wir müssen weg von hier!«

Zweige brachen schnappend, Ranken zerkratzten ihnen die Haut. Gulf stolperte benommen durch das Dickicht. Das Gesicht neben ihm war ein auf und ab hüpfendes braungebranntes Oval unter der breiten Krempe eines Filzhuts, die Augen waren wie erloschene Kohlenstücke in einem Erdloch; sie schienen nicht zu leben, sondern alle Ausdruckskraft dem Mund zu überlassen, den wulstigen Lippen. Einige verdünnte Tropfen afrikanischen Blutes mußten in seinen Adern kreisen, vielleicht befanden sich unter seinen Vorfahren auch Indianer: Die Nase war ein schroffer Überhang in der Steilwand des Gesichts, die Wangenknochen waren wie hohe, hervorstehende Simse. Schweißtropfen perlten unter dem Hut hervor.

»Schneller«, keuchte der Mann und zog ihn ungeduldig am Arm.

Gulf riß sich los. Er wich zurück, atmete schwer, starrte den Fremden an, dann die Pistole in seiner Hand. In der Ferne sprachen die Waffen, hämmernd und grollend, Echos aus einem Steinbruch. Keine Schreie. Die Schreie der Sterbenden waren zu leise, um bis zu ihnen herüberzudringen, und der Wald dämpfte alle Laute.

»Verdammt, die Front rückt näher. Diese verfluchten Werwölfe …« Die Augen des Mannes huschten hin und her. »Wir müssen weiter«, sagte er. »Kommen Sie, Gulf.«

Gulf rührte sich nicht. Wer sind Sie? wollte er fragen. Und: Wo, zum Teufel bringen Sie mich hin? Statt dessen sagte er: »Die Stimmen.



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